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Musik aus Blech

Unkonventioneller Jazz als besondere Form der polnischen Außenpolitik

BERLIN. Die Polen spielen verrückt. Einer mischt das Quengeln seiner Kinder unter die letzten Gitarren-Improvisationen. Der nächste kombiniert zirpende Grashüpfer mit klassischen Arien. Wieder ein anderer macht Musik aus Großstadtmüll, mit Blech und scheppernden Fässern. Und das Publikum ist begeistert, dies- und jenseits der Grenze. Da lohnt es sich, genauer hinzuhören.

Auf „Play muzyka z Polski“ hat das Warschauer Kulturinstitut Adam Mickiewicz neue Musik aus Polen zusammengestellt, getreu seinem Auftrag, „die polnische Kultur weltweit zu fördern und eine Zusammenarbeit mit anderen Ländern anzuregen“. Kultur fördern heißt hier erst einmal, sie überhaupt bekannt zu machen. Und Zusammenarbeit meint, dass Robotobibok, Pink Freud, Rh+ und all die anderen nicht nur in Warschau, Danzig und Krakau auftreten, sondern auch in Berlin, London und New York.

„Das Beste, was wir in Polen haben, ist der Jazz“, sagt Jacek Glaszcz vom Polnischen Institut in Berlin, das die Arbeit der Warschauer Kollegen vor Ort weiterführt. „Es gibt dort viele junge Musiker, die unheimlich kreativ und talentiert sind“, findet er. Robotobibok zum Beispiel. Die Breslauer Band hat sich seit 1998 aus dem polnischen Untergrund heraufgespielt zu Festivalauftritten in Deutschland und den USA. Ihr Name verbindet einen Roboter mit dem polnischen Wort für Faulenzer – ein Widersinn, der sich auch in ihren Stücken spiegelt. Robotobibok machen elektronisch anmutende Musik mit klassischen Instrumenten: Trompete, Kontrabass und Xylophon, dazu analoge Synthesizer aus den 70ern, weil die so schön retro klingen.

Auch Pink Freud will mit „Mademoiselle Madera“ auf der aktuellen Platte daran erinnern, dass Jazz ursprünglich Tanzmusik war. Das Quartett aus Danzig mischt Rock und Folk unter jazzige Improvisationen, heraus kommt etwas, das die Szene als New Electric Jazz feiert. Noch weiter geht die audiovisuelle Theatergruppe Rh+, die ihre experimentellen Stücke mit Videoprojektionen und Schauspielszenen kombiniert. Der Abwechslung halber hat das Adam-Mickiewicz-Institut in seine Zusammenstellung auch den in Polen so bekannten wie beliebten Rapper Fisz aufgenommen. Die Spaßmusiker von The Car is on Fire dürfen eine wunderschöne Kellnerin besingen und die Rockerfrauen von Los Trabantos über einen nervigen Fahrscheinkontrolleur schimpfen.

Und doch. Als verlängerter Arm des polnischen Außenministeriums macht das Warschauer Mickiewicz-Institut ganz offiziell Werbung für Kultur. Klar, dass da gestrichen wird, was zu sehr aus dem Rahmen fällt und erst recht, was politisch unkorrekt ist. Was wirklich los ist in den Szene-Bars zwischen Breslau und Danzig und bei den Konzerten im Warschauer Untergrund, lässt sich also nur erahnen. Irgendwo müssen sie doch versteckt sein, die fetzigen polnischen Rhythmen voller Spaß und Energie, die bisher nach nur wenigen Takten noch jeden Tanzmuffel aus der Reserve gelockt haben. Auf „Play muzyka z Polski“ sucht man sie jedenfalls vergebens.

ENDE

in: Märkische Allgemeine Zeitung, 14. April 2007