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Zu Befehl, Frau Hauptmann!

Seit fünf Jahren leisten Frauen Dienst an der Waffe – das hat die Armee gründlich verändert

POTSDAM. Hauptfeldwebel Böhme kämpft gegen das W. „Das ist vollkommen überflüssig“, sagt sie und wirft den blonden Zopf in den Nacken. Doch das W hat sich eingebürgert im Schriftverkehr der Bundeswehr. Ob auf Telefonlisten, Türschildern oder in den Berichten des Wehrbeauftragten, oft steht da eben nicht einfach „Hauptfeldwebel Böhme“, sondern „Hauptfeldwebel (w)“. Mann will sich darauf einstellen, dass plötzlich eine Frau hinter der Tür sitzt oder den Hörer abnimmt. Andrea Böhme, Militärische Gleichstellungsbeauftragte im Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Geltow, findet das komisch: „Ein Befehl ist auszuführen, egal ob er von Mann oder Frau kommt.“

Knapp 13 000 Frauen dienen zurzeit in der Bundeswehr. Das sind fast sieben Prozent aller Soldaten – und ihr Anteil steigt stetig. Die typische Soldatin, hat das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr herausgefunden, ist zwischen 19 und 23 Jahren alt und lebt in einer Kleinstadt, meist in Ostdeutschland. Sie hat keine Kinder, aber einen Freund und nach ihrem Realschulabschluss hat sie meist einen Beruf erlernt.

Einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs von 2001 verdanken es Frauen, dass ihnen heute alle Bereiche der Armee offen stehen. Seither dürfen sie nicht mehr nur Krankenschwester werden, sondern auch Kampfpilotin oder Panzerfahrerin. Sie durchlaufen die gleiche Ausbildung wie ihre männlichen Kameraden, müssen genauso viel Marschgepäck tragen und bei Manövern die gleichen Strecken zurücklegen. Nur die Hosen ihrer Uniformen werden anders herum geknöpft.

Als Andrea Böhme 1991 zur Bundeswehr kam, war das alles noch anders. Da durften Frauen höchstens als Sanitäter oder im Militärmusikdienst arbeiten. Doch die Physiotherapeutin fand sich schnell ins Soldatenleben ein. Was zunächst nur eine sichere Stelle für vier Jahre war, wurde zur beruflichen Heimat. „Mir gefällt, dass man hier körperlich gefordert wird“, sagt die zierliche 42-Jährige, die statt mit dem Auto mit ihrem Mountainbike über das weitläufige Kasernengelände fährt. „Außerdem“, meint sie, „ist jeder Tag bei der Bundeswehr anders, so was wie Alltagstrott gibt es hier nicht.“

Auch ihre jüngere Kollegin Dajana Mann strahlt über das ganze Gesicht, wenn sie von ihrer Arbeit redet. „Ich bin wunschlos glücklich hier“, sagt die 25-Jährige, und man glaubt es ihr sofort. Dass sie nach einer kaufmännischen Lehre zur Armee ging, hat niemanden im Freundeskreis wirklich verwundert. „Meine Mutter war begeistert“, erinnert sie sich und überlegt: „Eigentlich war ich nie das typische Mädchen, das sich immer hübsch macht und ganz empfindlich ist.“

Heute betreut Stabsunteroffizier Mann die Familien der Soldaten, die an den verschiedensten Orten der Welt im Einsatz sind. Statt mit der Waffe in der Hand kämpft sie also mit Papier und Bleistift. Die Männer in der Truppe, sagt sie, treten ihr offen und freundlich gegenüber. Das war während der Grundausbildung in Nordrhein-Westfalen nicht anders und auch nicht, als sie für sechs Monate im Kosovo diente. Und eigentlich, findet Dajana Mann, hat sich ja für die Kameraden auch gar nicht so viel geändert. Außer, dass an der Dusche jetzt manchmal ein Schild hängt: „Frauenduschzeit“.

Was beim offiziellen Gespräch im Geltower Pressezentrum nach Harmonie und nahezu reibungslosem übergang klingt, wird anderswo genauer beschrieben. Das soldatische Selbstverständnis des männlichen Kämpfers könne „in seinen Grundfesten erschüttert werden“, urteilte zum Beispiel das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr und machte gar den „Beginn einer neuen Zeitrechnung“ aus. Dem Militär, so die Forscher, falle es dabei weitaus schwerer, sich den neuen Gegebenheiten anzupassen als den Frauen.

„Die Integration von weiblichen Soldaten ist noch lange nicht abgeschlossen“, findet auch Katja Roeder, die sich im Bundeswehrverband für Soldatinnen einsetzt. Vor allem in der kämpfenden Truppe gäbe es nach wie vor starke Vorbehalte. Da hörten Frauen schon mal Sprüche wie: „Entweder du lässt dich selbst versetzen oder wir sorgen dafür, dass du wegkommst.“ Sexuelle Anzüglichkeiten, berichtet Roeder, spielten hingegen kaum eine Rolle.

Ein größeres Problem ist die Konkurrenz. Soldatinnen schneiden im Studium und bei Wissenstests oft besser ab als ihre männlichen Kameraden. Viele von ihnen sind hochmotiviert und setzen ein hohes Maß an Ehrgeiz daran, sich beim Militär zu beweisen. Das macht sie zu ernsthaften Konkurrenten im Kampf um Anerkennung und begehrte Posten – erst recht, seit im Januar 2005 das Gleichstellungsgesetz für die Bundeswehr in Kraft getreten ist.

Seither müssen Soldatinnen bei gleicher Qualifikation bevorzugt eingestellt werden, bis eine bestimmte Quote erreicht ist. Im Sanitätsdienst liegt sie bei 50, in den anderen Bereichen bei 15 Prozent. Wie aufgeheizt die Diskussion um dieses Gesetz war, zeigten die Beschwerden, die beim Wehrbeauftragten des Bundestages eingingen. „Da fühlten sich manche Männer schon benachteiligt, bevor die neuen Regeln überhaupt in Kraft waren“, erzählt Katja Roeder.

Dem neuen Gesetz verdankt auch Andrea Böhme in Geltow ihre Stelle als Gleichstellungsbeauftragte. Sie soll dafür sorgen, dass besagte Quoten eingehalten werden und dass Soldaten Beruf und Familie vereinbaren können. Als sie zur Bundeswehr kam, war Böhme selbst alleinerziehende Mutter einer drei Jahre alten Tochter. „Ich habe die Schwierigkeiten also erlebt“, sagt sie. Sie hat Lehrgänge stets in die Schulferien gelegt und konnte einen Umzug mit dem Kind schließlich doch nicht verhindern, als man sie von Hamburg nach Potsdam versetzte. Das neue Gesetz erlaubt es Soldaten nun, auch in Teilzeit zu arbeiten. Aber bis sich das in der Praxis durchsetzt, glaubt Böhme, wird es noch eine ganze Weile dauern – genau wie im zivilen Leben.

Ebenso lange dauert es vermutlich, bis eine Soldatin im Kampfanzug nichts Ungewöhnliches mehr ist. Die eigentlichen Probleme der Integration, meinen die Forscher am Sozialwissenschaftlichen Institut, zeigen sich ohnehin erst in ein paar Jahren: Wenn die Ausbilder nicht mehr handverlesen sind, wie in den ersten Frauen-Jahrgängen. Wenn das Interesse der Medien verflogen ist. Und wenn die 230 Offiziersanwärterinnen, die jetzt ihr Studium beginnen, erst Kompaniechefs und Bataillonskommandeure sind.

ENDE

in: Märkische Allgemeine Zeitung, 15. September 2006