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Rosen und Kameras

In Georgien suchen die Medien ein Jahr
nach der Revolution ihren Platz

TIFLIS. Giorgi Targamadse ist Journalist in Tiflis, der Hauptstadt Georgiens, und sichtlich unzufrieden. „Georgien erlebt im Moment eine Putinisierung der Medien“, klagt Targamadse und erzählt, wie die neue Regierung nach dem Sturz von Präsident Eduard Schewardnadse nach und nach beliebte Talkshows im privaten Fernsehen abgeschafft hat, wie Redaktionen von der Steuerpolizei durchsucht wurden. Kritische Sender und Zeitschriften mussten schließen – angeblich wegen finanzieller Probleme. Inzwischen sind zahlreiche Menschenrechtsgruppen besorgt über den Zustand der Pressefreiheit in Georgien, wenn auch nicht alle Targamadses scharfem Urteil zustimmen. In einem allerdings sind sich die Beobachter einig: Es ist schwerer geworden, unabhängig und kritisch über die Regierung in Tiflis zu berichten – dabei hatte das Fernsehen gerade mit solchen Berichten zum Machtwechsel vor einem Jahr beigetragen.

„Ohne das Fernsehen hätte es diese Revolution nicht gegeben“, ist sich Manana Meskhischwili sicher. Die 25-Jährige war dabei, als im letzten November Zehntausende gegen Schewardnadse und die gefälschten Parlamentswahlen protestierten. Eine riesige Leinwand übertrug damals das Programm von Rustawi 2, dem populärsten Fernsehsender Georgiens, auf die Straßen der Stadt. Rustawi berichtete rund um die Uhr von den Demonstrationen, zeigte Bus-Konvois, die Oppositionelle aus dem ganzen Land nach Tiflis brachten. Das Fernsehen machte die Revolution – und die Revolution machte die Bilder fürs Fernsehen: Oppositionsführer Michail Saakaschwili jagte seinen Vorgänger Schewardnadse aus dem Parlament, effektvoll inszeniert in Jeans und Lederjacke, mit einer Rose in der Hand. Skeptiker nannten die Vorgänge im November schnell einen geschickt eingefädelten PR-Coup.

Gegen solche Vorwürfe wehrt sich Eka Khoperia, Nachrichtenchefin bei Rustawi 2, vehement. Sie hat ihre Zuschauer im November 2003 nach jeder Nachrichtensendung aufgerufen, auf die Straße zu gehen und sich den Protesten anzuschließen. Und sie ist heute noch fest davon überzeugt, dass das richtig war: „Wie sollten wir uns denn heraushalten? Es ging um unser Leben, unser Land, unsere Kinder!“ Mit energischen Gesten unterstreicht die 32-Jährige ihre Worte – und plötzlich wird deutlich, was der Zuschauer am westeuropäischen Bildschirm nie gespürt hat: die Anspannung dieser wenigen Tage im November, als niemand wusste, ob russische Panzer dem wankenden Präsidenten zu Hilfe kommen würden wie schon 1989. Als noch nicht klar war, dass eine Rose zum Symbol dieser Revolution werden sollte und nicht ein beim Machtkampf getöteter Student. Rustawi 2 setzte in dieser Zeit alles auf eine Karte, machte selbst Politik – und triumphierte als „Fernsehen der Sieger“, wie es sich selbst nannte.

Doch dem Triumph folgte die Ernüchterung. Der Sender, populär geworden durch scharfzüngige Berichte über Korruption und zwielichtige Geschäfte in der Regierung Schewardnadse, geriet nach dem Machtwechsel in eine schwere Identitätskrise. Die Stimme der Opposition wurde zum Fernsehen der Macht und muss sich heute immer wieder Vorwürfe allzu großer Staatsnähe gefallen lassen. Die Zuschauer wenden sich ab von der tendenziösen Berichterstattung. Das Geld westlicher Stiftungen, die kritisches Fernsehen bis dahin unterstützt hatten, fließt nur noch spärlich. Im Frühjahr musste Rustawi 2 Insolvenz anmelden, erst in letzter Minute fand sich ein Investor – aber auch der pflegt ausgezeichnete Beziehungen zur neuen Regierung.

Seit einiger Zeit gibt es Hoffnung, auf Georgisch „imedi“. So nennt sich der junge Kanal, der Rustawi 2 seinen Platz als quotenstärkster Privatsender des Landes streitig macht. Gegründet von Badri Patarkazischwili, einem Kollegen des russischen Oligarchen Boris Beresowskij, kennt Imedi keine finanziellen Probleme. Im gut klimatisierten Nachrichtenraum sitzen 25 Redakteure an edlen schwarzen Flachbildschirmen. Der Sender arbeite mit der modernsten Technik in ganz Georgien und sende als einziger stündlich Nachrichten, erklärt Politikchef Giorgi Targamadse. Deshalb kämen die besten Journalisten des Landes, um hier zu arbeiten.

Imedi ist dynamisch und flexibel – genau wie Targamadse. Nach seinem Journalistikstudium an der Staatlichen Universität saß der 31-Jährige lange für die „Union des Aufschwungs“ im georgischen Parlament, für die Partei eines korrupten Regionalfürsten, der mit seiner Familie eine kleine Provinz im Süden Georgiens regierte und sich am Schwarzhandel im fruchtbaren Grenzgebiet bereicherte. Heute gibt sich Targamadse gänzlich unpolitisch und tritt für unabhängige Berichterstattung ein, für Journalismus der die Politik beobachtet, statt sich einzumischen – der Seitenhieb gegen Rustawi 2, dessen Schwierigkeiten Imedi immer wieder ausführlich kommentiert, ist nicht zu überhören.

Ein Jahr nach der Rosenrevolution sind die Medien in Georgien nicht mehr in ein Pro- und ein Contra-Regierungslager geteilt, sondern kämpfen um potentielle Förderer und Werbekunden in einem wirtschaftlich schwachen Land. Tamara Schamil, Medienbeauftragte am Kaukasusinstitut für Frieden, Demokratie und Entwicklung, hält deshalb auch nicht die staatliche Repression der Medien für das größte Problem: „Es ist die Selbstzensur der Journalisten, die kritische Berichte verhindert“, sagt sie. „Die meisten von ihnen warten erst einmal ab, wie die neuen Machthaber reagieren.“

Wie sehr diese Einschätzung zutrifft, zeigte sich vor einigen Wochen: Da behauptete der US-Botschafter in Tiflis, Richard Miles, recht undiplomatisch direkt, in Georgien würden sich bis heute „einige internationale Terroristen“ aufhalten. Die Regierung in Tiflis war empört – doch die Medien, sonst erpicht auf jede Sensation, verschwiegen die Bemerkung geflissentlich. Imedi strich sie nach einer einzigen kurzen Meldung aus allen Nachrichtenblöcken, Rustawi 2 erwähnte den Vorfall im abendlichen Politmagazin nicht einmal.

ENDE

in: Berliner Zeitung, 3. November 2004