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Modern, moderner, Tiflis?

Georgien will mit spektakulären Bauprojekten Investoren anlocken

TIFLIS. Ihre Botschaft vermittelt die georgische Hauptstadt gleich nach der Ankunft, laut und unmissverständlich: Tiflis ist modern geworden! An der Einfahrtstraße vom Flughafen, jener 20 Kilometer langen Stadtautobahn, deren Ende seit 2005 George W. Bush Avenue heißt, strahlt der neue Sitz des Innenministeriums: ein futuristischer Bau aus fließenden Linien und geneigten Ebenen, vollkommen gläsern und die ganze Nacht hindurch hell erleuchtet. Hier wird, sagt dieser Bau, rund um die Uhr für den Fortschritt des Landes gearbeitet – und zwar vollkommen transparent.

Mit ebenso spektakulären Neubauten überrascht die Innenstadt. Da schlendert man durch gewundene Gassen, vorbei an geduckten Häusern mit windschiefen Treppchen und unzähligen Balkonen, die berühmt sind für ihre geschnitzten Verzierungen und für das Weinlaub, das sich im Sommer um die Pfosten rankt. Und plötzlich öffnet sich der Blick auf eine gigantische Brücke, eine 150 Meter lange Konstruktion aus Stahl und Glas, die sich in kühnen Bögen über den träge dahin fließenden Mtkwari schwingt.

Kurz vor Sonnenuntergang beginnt sie zu flimmern und zu leuchten, wird zu einer überdimensionalen Welle aus Licht inmitten verschlafener Häuser. 30.000 LED-Leuchten verwandeln ihr Dach in eine fluoreszierende Amöbe, an den Geländern laufen in Morse-Schrift Buchstaben entlang: die Namen der chemischen Elemente. "Sie symbolisieren die Grundlage des Lebens, den Frieden zwischen den Menschen", erklärte der französische Lichtdesigner Philippe Martinaud zur Eröffnung im Mai 2010, denn es hatte eine "Brücke des Friedens" sein sollen. Präsident Michail Saakaschwili fügte hinzu, das neue Werk stehe für Georgiens Weg in eine lichte Zukunft, für die Transparenz und Modernität seiner Regierung.

Nestan Tatarschwili zieht grimmig die Stirn in Falten, wenn sie sich daran erinnert. "Als er noch nicht an der Macht war, hat Saakaschwili mit uns gegen rücksichtslose Neubauten protestiert", schimpft die 50-jährige Architektin, "jetzt macht er genau so weiter, nur in viel größerem Maßstab." Für den vor zwei Jahren fertig gestellten Präsidentenpalast seien ganze Straßenzüge zerstört worden, sagt Tatarschwili. "In Georgien hat sich der Präsident zum obersten Stadtplaner erklärt. So etwas ist noch nie gut gegangen."

Saakaschwilis neoklassizistischer Palast, Residenz und Regierungssitz in einem, sieht mit pompösen Säulen, Dreiecksgiebel und einer eiförmigen Kuppel aus blau verspiegeltem Glas aus wie der kleine Bruder des Deutschen Reichstags, wenn auch etwas verwachsen. Wieviel er gekostet hat, darüber konnten georgische Medien nur spekulieren, die Mutmaßungen schwankten zwischen 40 und hundert Mio. Lari (rd. 17 bis 41 Mio. Euro). Die Baukosten hätten lediglich einen zu vernachlässigenden Bruchteil des Staatshaushalts ausgemacht, ließ die Präsidialadministration verlauten.

Kritiker beklagen, der georgische Staat gebe unverhältnismäßig viel Geld für Prestigeprojekte aus. 2009 schnürte die Regierung ein rund 944 Millionen Euro schweres Rettungspaket, um die durch den Krieg um Süd-Ossetien und die weltweite Finanzkrise geschwächte Wirtschaft zu stimulieren. Mit Kapital der Weltbank und diverser ausländischer Entwicklungsbanken wurden massive Infrastrukturprojekte angeschoben. Der Tifliser Hauptbahnhof etwa soll aus dem Zentrum an den Stadtrand verlegt werden und das Parlament ins 220 Kilometer entfernte Kutaissi, das dafür zur zweiten Hauptstadt ausgebaut wird.

Vor allem aber will die Regierung mit ihren Ausschreibungen ausländische Investoren anlocken, denn zahlreiche Kredite und Entwicklungshilfen müssen in den kommenden Jahren zurückgezahlt werden. Anfang März gelang ein erster Erfolg, als der US-amerikanische Immobilienmogul Donald Trump einen Vertrag über den Bau zweier Luxus-Wolkenkratzer in Georgien unterschrieb. Einer soll als 40-stöckiger "Trump Tower Tbilisi" zum höchsten Gebäude der Hauptstadt werden, der andere soll mit exquisiten Appartements, Kasino und Privathafen das am Schwarzen Meer gelegene Batumi schmücken.

Die Hafenstadt am Schwarzen Meer steht beispielhaft für den Bauboom der vergangenen Jahre. Der spanische Architekt Alberto Domingo Cabo hat in Batumi auf sieben Kilometern eine der längsten Strandpromenaden der Welt geschaffen. Der Italiener Michel De Lucchi – Architekt des Tifliser Innenministeriums und der Brücke des Friedens – baut dort ein hypermodernes Hotel und das Berliner Büro Zvi Hecker ein Großaquarium plus Voliere. Dazu kommen unzählige Pläne für Einkaufszentren und Bürogebäude, die Batumi zum international begehrten Urlaubs- und Konferenzort machen sollen. Ein paar Kilometer weiter nördlich hat die Regierung Sonderwirtschaftszonen eingerichtet, in denen Unternehmen ab einer bestimmten Investitionssumme Grundstücke zum Symbolpreis von einem Lari (42 Cent) erhalten und 15 Jahre lang keine Gewinnsteuern zahlen.

Wenn sie nur genügend investiert, kalkuliert die georgische Regierung, strömen bald Touristen und Geschäftsleute ins Land – und mit ihnen Geld und Wohlstand. Doch in dieser Rechnung fehlt die wichtigste Variable: politische und gesellschaftliche Stabilität. Die Mehrheit der georgischen Rentner lebt in Armut, inoffizielle Arbeitslosenzahlen liegen bei über 50 Prozent, die Lebensmittelpreise steigen.

Der Architekt Nick Schawischwili begrüßt dennoch, dass sein Land mit großen Schritten Richtung bauliche Moderne strebt. Die Entwürfe seines Tifliser Büros zeichnen sich durch klare Linien und sachliche Formen aus. Schawischwili blickt aus dem Panoramafenster hinter seinem Schreibtisch. "Sehen Sie in dieser Stadt ein einziges Haus, das einem anderen gleicht?", fragt er und antwortet selbst: "Nein, sehen Sie nicht, außer vielleicht die sowjetischen Wohnblocks dort hinten. Tiflis ist eine wilde Mischung. Wieso soll etwas Modernes nicht dazu passen?"

Was den 56-jährigen Architekten stört, ist, dass fast nur Ausländer beauftragt werden, wenn es um wichtige Bauten geht. "Die Regierung traut georgischen Architekten so etwas nicht zu", glaubt er, "zu Unrecht". Mit einer Meinung über die neuen Gebäude in seiner Stadt hält er sich diplomatisch zurück. "Ich ignoriere sie einfach, sie interessieren mich nicht", sagt er – um wenig später mit kaum verhohlener Verachtung den Eklektizismus des Präsidentenpalasts zu beschreiben. Und das gläserne Ministerium, die funkelnde Brücke? "Ich hätte sie anders gebaut", sagt Schawischwili, "aber sie sind akzeptabel. Wenigstens sind sie wirklich modern."

Das Innenministerium an der Straße zum Flughafen hält diesem Urteil allerdings nur auf den ersten Blick stand. Denn die transparente, fließende Fassade mit den geneigten Wänden ist tatsächlich nur Fassade. Hinter ihr verbirgt sich ein Regierungsgebäude im konventionellen Stil, mit senkrechten Wänden und linealgeraden Korridoren. Und in den unteren Etagen, wo die wichtigsten Büros liegen, ist es auch mit der Transparenz vorbei: Dort sind die Wände ganz herkömmlich aus Beton – und kaum einer weiß, was drinnen vor sich geht.

ENDE

in: Die Presse, 24. Mai 2011