„Ich muss die Realität anerkennen“
Interview mit dem serbischen Präsidenten Boris Tadić zum Status des Kosovo
Auch kurz vor dem Ende der UN-Verhandlungen über den Kosovo stehen sich Serben und Albaner unversöhnlich gegenüber. Der serbische Präsident Boris Tadić plädiert als einer der wenigen für Mäßigung in dem Konflikt. Mit ihm sprach Ulrike Gruska.
Herr Präsident, wie wichtig ist die Kosovofrage für die Bürger Serbiens?
Tadić: Sehr wichtig, denn der Kosovo ist nicht nur Teil unserer Geschichte, sondern auch unserer Identität. Serbien will das Schicksal der Kosovo-Albaner nicht lenken. Aber es hat ein legitimes Recht darauf, seine Grenzen zu verteidigen.
Hat Serbien nach allem, was unter Milošević geschehen ist, überhaupt noch ein moralisches Recht auf den Kosovo?
Tadić: Es ist zu einfach zu behaupten, die Serben hätten Schuld am Krieg gehabt, genau wie nicht nur die Albaner schuld sind. Verantwortung tragen einzelne Personen, die ihre Namen und ihre Vornamen haben.
Glauben Sie, dass die Unabhängigkeit des Kosovo schon beschlossene Sache ist?
Tadić: Ich habe schon viele verloren geglaubte Schlachten gewonnen, ich ergebe mich nicht. Aber ich muss auch die Realität anerkennen. Es geht nicht darum, ob der Kosovo unabhängig wird oder nicht, sondern ob wir eine dauerhafte Lösung für die Zukunft finden. Die Strategie der internationalen Gemeinschaft erinnert mich an einen Arzt, der einfach eine Salbe auf das Geschwür seines Patienten streicht, ohne dessen Krankheit wirklich zu heilen.
Warum setzen Sie sich für vorgezogene Präsidentschaftswahlen in Serbien ein?
Tadić: Sie unterhalten sich mit einem Mann, der verantwortlich gemacht werden kann für den Verlust eines Teils des Territoriums seines Landes, für den Verlust eines Teils der Identität seines Volkes. Da brauche ich die volle Unterstützung der Bürger.
Was erwarten Sie für die Zukunft der Region?
Tadić: Sollte der Kosovo unabhängig werden, hätte das eine Destabilisierung des gesamten Balkans zur Folge. Ein Funke genügt, um den Exodus der Serben aus dem Kosovo auszulösen. Doch so lange der Strom derer, die ihre Heimat verlassen, länger ist als der Strom derer, die zurückkehren, haben wir hier keine Perspektive. Es herrscht ein enormes Misstrauen zwischen Serben und Albanern, meine Rolle ist da die einer Brücke. Ich weiß nur nicht, wie lange diese Brücke halten wird.
ENDE
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