text at ulrike gruska de
tip

Eine Frage des Geldes

In Russlands Regionen beherrschen Politik und Wirtschaft die Medien

BERLIN. In Moskau ist die Lage übersichtlich: Der Staat kontrolliert das Fernsehen, Zeitungskioske bieten einen Hauch von Vielfalt und als Beweis für die Pressefreiheit zitiert der Präsident den unabhängigen Radiosender „Echo Moskwy“. Informationen über die Medien fern von der Hauptstadt hingegen dringen nur sporadisch an die öffentlichkeit: wenn mal wieder ein Korrespondent verprügelt oder einem Sender die Lizenz entzogen wurde.

Dass die Realität vielschichtiger ist, zeigt ein Bericht der Organisation „Reporter ohne Grenzen“. Sie hat im Sommer ausgewählte Regionen im russischen Hinterland untersucht, darunter die liberale Uralstadt Perm, das als kriminell verrufene Wladiwostok und das südrussische Sotschi, wo Journalisten vor den Olympischen Spielen 2014 besonders unter Druck stehen.

„Gewalt gegen kritische Journalisten ist die Ausnahme“, fasst Moritz Gathmann, Koordinator der Studie, zusammen. Das erstaunt in einem Land, in dem in den vergangenen neun Jahren über 20 Journalisten getötet wurden und das auf Ranglisten zur Pressefreiheit stets auf den hinteren Plätzen landet. Gathmann erklärt das mit systematischer Zensur – nicht direkt durch den Kreml, sondern über wirtschaftliche Hebel. „Wer die Musik bezahlt, bestimmt was gespielt wird“, laute die Regel.

Im Landesinneren sind es vor allem Gouverneure und Bürgermeister, die zahlen. Ihnen gehören viele regionale Zeitungen und ein Großteil der Radio- und Fernsehsender. Sie zahlen Gehälter, kaufen Computer und lassen Redaktionen mietfrei in staatseigenen Gebäuden arbeiten. Die Loyalität pro forma unabhängiger Medien sichern sie sich durch „Informationsverträge“: Die Verwaltung verschickt fertige Beiträge an Redaktionen und zahlt für deren Veröffentlichung. Im Budget mancher Regionen sind dafür mehrere hunderttausend Euro pro Jahr eingeplant.

Einige Medien erzielen so die Hälfte ihres Einkommens – und verlieren jedes inhaltliche Mitspracherecht. Fernseh-Chef Wadim Beljajew aus Sotschi etwa wurde entlassen, weil er Acht-Minuten-Stücke über den „geliebten Gouverneur“ auf Nachrichtenformat zurecht kürzte. Die stadtnahe Wochenzeitung „Unser Haus Sotschi“ berichtet in nahezu jeder Ausgabe über die erfolgreiche Vorbereitung der Olympischen Spiele und erwähnt die Proteste gegen die Zwangsumsiedlung tausender Bewohner dabei mit keinem Wort.

Doch auch Redaktionen, die oppositionellen Geschäftsleuten gehören, arbeiten kaum freier. „Ein Medium ist dazu da, Einfluss auszuüben“, gibt ein Unternehmer aus Archangelsk unumwunden zu. Da werden per Anzeige Redakteure gesucht, um missliebige Abgeordnete zu diffamieren. Auftragsjournalisten verfassen „Image-Reklame“, die der Leser nicht als solche erkennen kann. Nicht der Mangel an Pressefreiheit sei das Problem, klagen Journalistenverbände, sondern die Korruption vieler Kollegen.

Nur etwa 70 russische Regionalzeitungen sind „Reporter ohne Grenzen“ zufolge unabhängig – bei mehreren tausend Printprodukten im Land. Sie leben vom Idealismus und der Selbstausbeutung ihrer Mitarbeiter oder erscheinen in Verlagen, die kritische Berichterstattung mit Werbebroschüren und unpolitischen Hochglanzmagazinen finanzieren.

Seit 2004 haben sich etwa 50 von ihnen zur Allianz der unabhängigen Verlage ANRI zusammengeschlossen. Sie bietet ihren Mitgliedern vor allem Weiterbildungen an, denn laut Verbandschefin Anna Koschman ist es die mangelnde Professionalität vieler Journalisten, die Repressionen erst möglich macht. „Der Kreml erlaubt eine unabhängige Presse in den Regionen“, ist Koschman überzeugt. Man muss sich diese Unabhängigkeit nur leisten können.

Helden und Handlanger: Die Arbeit von Journalisten und Medien in den russischen Regionen, Reporter ohne Grenzen 2009, im Internet abrufbar unter www.reporter-ohne-grenzen.de

ENDE

in: Berliner Zeitung, 17.10.2009