Der Kreml auf allen Kanälen
Die russische Regierung hat das Fernsehen zu einem ihrer wichtigsten Machtmittel gemacht
Modern, dynamisch und offen will sich Russland zu den Olympischen Winterspielen im
Februar 2014 in Sotschi präsentieren. Doch die Realität im Land sieht oft ganz anders
aus: Der Kreml regiert mit harter Hand und verweigert der Bevölkerung grundlegende
Bürgerrechte. Auf den Olympia-Baustellen an der Schwarzmeerküste arbeiten
Migranten unter miserablen Bedingungen, Naturschutzgebiete wurden zerstört und
tausende Bewohner zwangsumgesiedelt. Der Fernsehzuschauer erfährt von all dem
wenig. Die staatlichen russischen Kanäle verbreiten in stromlinienförmigen
Nachrichten die offiziell genehmigte Version dessen, was in Russland und der Welt
passiert. In der Berichterstattung über die bevorstehenden Olympischen Spiele
konzentrieren sie sich auf Erfolgsmeldungen: auf reibungslos verlaufende
Testwettbewerbe, die Eröffnung neuer Stadien oder die Präsentation der Medaillen.
Zwischentöne sind rar, Analysen liefern fast ausschließlich kremlfreundliche
Kommentatoren.
Wie es die Staatsspitze schafft, das Fernsehen derart effektiv zu kontrollieren,
beschreibt die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ in ihrem Bericht „Der Kreml auf
allen Kanälen“, der im Oktober erschienen ist. Das Fernsehen ist für die russische
Regierung eines der wichtigsten Machtmittel, denn fast 90 Prozent der Bevölkerung
informieren sich vor allem dort über das politische Geschehen. Die drei größten Sender
(Perwyj Kanal, Rossija und NTV) gehören entweder direkt dem Staat oder kremltreuen
Unternehmen und Oligarchen. Und weil der Staat auch das Monopol über das aus
sowjetischer Zeit stammende Übertragungssystem besitzt, das fast alle Haushalte des
riesigen Landes erreicht, werden die drei großen Sender in ganz Russland kostenlos
ausgestrahlt. Für alternative Kanäle ist es meist zu teuer, eigene Übertragungssysteme
aufzubauen. Der Politikwissenschaftler Robert Orttung hält den Zugang zu politisch
relevanten unabhängigen Nachrichten in Russland deshalb heute für „stärker
eingeschränkt als jemals zuvor seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion“. In den
frühen neunziger Jahren hatten noch mehrere Sender im Besitz konkurrierender
Oligarchen mit politischen Informationen und Enthüllungen um die Gunst der
Zuschauer geworben.
Doch bereits kurz nach dem ersten Amtsantritt Wladimir Putins im Jahr 2000 zerschlug
der Kreml die Konzerne privater Medienmogule. Er eignete sich deren Sender an und
besetzte leitende Posten in den Redaktionen mit überzeugten Kremlanhängern. Nach
und nach wurden sämtliche Sendungen gestrichen, die Kritik an führenden Politikern
wagten. Zahlreiche Journalisten wechselten den Beruf oder gingen ins Ausland. Übrig
geblieben sind jene, die sich den Machthabern nicht entgegen stellen und ihre
Überzeugungen nicht offen auf dem Bildschirm vertreten. Das beste Beispiel für diese
Politik der jahrelangen systematischen Gleichschaltung ist der Sender NTV. Anfang der
neunziger Jahre galt er als die Speerspitze des kritischen Journalismus im
postsowjetischen Russland, heute ist er für viele nur noch ein reißerisches
Propagandaorgan des Kreml. Während der Massenproteste Ende 2011 und Anfang
2012, als zehntausende Russen auf der Straße freie Wahlen forderten, diffamierte er
Kritiker der Regierung als Staatsfeinde.
Der einzige Fernsehsender, der sich in seinen Berichten offen gegen das Regime stellt,
ist der im April 2010 gegründete private Kanal TV Doschd. Er spricht ein gebildetes
Publikum in den großen Städten des Landes an und unterscheidet sich vor allem durch
zahlreiche Livesendungen von den staatlichen Kanälen. Im Staatsfernsehen werden
selbst Sendungen, die „live“ im Titel tragen, oft vorher aufgezeichnet. Und wenn doch
einmal etwas Unvorhergesehenes ins Programm gerät, ist nach der ersten
Ausstrahlung im sieben Zeitzonen von Moskau entfernten Wladiwostok immer noch
genügend Gelegenheit, nicht genehme Stellen oder Beiträge zu streichen, bevor das
Programm im Westen des Landes über den Bildschirm läuft. Die Live-Sendungen bei TV
Doschd wirken zwar gelegentlich improvisiert, dafür aber unverfälscht. Dmitri
Medwedew verhalf dem Sender im April 2012 zu Bekanntheit, als er ihn zu seinem
letzten Interview als amtierender Präsident einlud. Normalerweise sind zu solchen
Interviews in Russland nur die großen Staatssender zugelassen. Hier ließ sich zum
ersten Mal ein Staatsoberhaupt nicht ausschließlich von Chefredakteuren und
Generaldirektoren interviewen, sondern auch von kritischen politischen Journalisten.
Wladimir Putin hingegen gilt als weit weniger medienfreundlich. Seit Beginn seiner
dritten Amtszeit als Präsident wurden zahlreiche Gesetze verabschiedet, die
Journalisten einschüchtern sollen. So ist Verleumdung seit Juli 2012 wieder ein
Straftatbestand. Für Reporter erhöht das die Gefahr, wegen kritischer Artikel verklagt
zu werden. Auch der „Verrat von Staatsgeheimnissen“ und „Spionage“ werden
strenger bestraft. Seit 2013 ist es verboten, in den Medien Schimpfwörter zu benutzen,
religiöse Werte zu beleidigen oder für „nichttraditionelle sexuelle Beziehungen“ zu
werben. Die Strafen für Zuwiderhandlungen betragen zum Teil mehrere zehntausend
Euro, im schlimmsten Fall können Medien geschlossen werden. Durch ihre dehnbaren
Formulierungen lassen sich diese Gesetze leicht missbrauchen, um Kritiker mundtot zu
machen. Erst Ende Oktober verlor die Nachrichtenagentur Rosbalt ihre Lizenz, weil sie
angeblich Videos verlinkt hatte, die Schimpfwörter enthielten – dabei ist völlig unklar,
welche Wörter genau verboten sind.
Selbstzensur ist angesichts dessen unter russischen Journalisten weit verbreitet. Nur
wenige Redakteure – zumeist in kleineren Sendern mit überschaubarem Publikum –
versuchen, Grenzen auszuloten und in ihren Sendungen von der vorgegebenen Linie
abzuweichen. Prominente Fernsehgesichter, die sich zumindest gelegentlich offen
gegen das Regime stellen, kann man an einer Hand abzählen. Zu ihnen gehörte Alexej
Piwowarow, der bis Ende Oktober Sprecher der Hauptnachrichten bei NTV war und
parallel dazu ein Dokumentarfilmprojekt über die Opposition organisierte. Auch
Wladimir Posner, der eine Interviewsendung für den staatlichen Perwyj Kanal
produziert, spricht immer wieder offen über Zensur.
Doch nicht nur in Russland, auch im Ausland versucht der Kreml inzwischen
zunehmend, mit Hilfe kontrollierter Bilder seine Sicht der Dinge zu vermitteln. Der mit
einem Budget von jährlich ca. 250 Mio. Euro ausgestattete Auslandssender RT (Russia
Today) produziert Nachrichten auf Englisch, Arabisch und Spanisch und will eine
Alternative zu CNN International und BBC World werden. Chefredakteurin Margarita
Simonjan bezeichnet den Sender als „Verteidigungsministerium des Kreml“. Er soll
Russland helfen, den Kampf um die öffentliche Meinung mittels der Medien zu
gewinnen. RT stellt internationalen Fernsehsendern einen Teil seines Materials
kostenlos zur Verfügung und hat 2012 in Berlin die Videoagentur Ruptly gegründet, die
ihr Material weit unter den Preisen etablierter Nachrichtenagenturen anbietet.
Ähnliche Wege geht der Kreml im Printbereich mit dem Projekt Russia beyond the
Headlines, das Beilagen für international renommierte Medien – darunter die
„Süddeutsche Zeitung“ – produziert und sein Material ebenfalls zum Teil kostenlos
abgibt.
Gerade vor und während der Olympischen Spiele in Sotschi ist es deshalb umso
wichtiger, dass internationale Berichterstatter verantwortungsvoll mit Texten und
Fernsehbildern aus Russland umgehen. Sender, die Material staatsnaher russischer
Kanäle übernehmen, sollten dies deutlich kennzeichnen und die Herkunft der Bilder
durch Quellenhinweise transparent machen. Sie sollten die Realität vor Ort im Blick
behalten und sich nicht durch professionell produziertes, vermeintlich journalistisches
Material täuschen lassen, das im Auftrag der russischen Regierung entsteht und deren
Image im Ausland verbessern soll. Konkret bedeutet das für die Sotschi-
Berichterstattung: Den Problemen und Skandalen rund um die Olympischen Spiele
muss ein angemessener Platz eingeräumt werden. Themen wie Umweltzerstörung,
Zwangsumsiedlungen, Korruption und die Ausbeutung von Gastarbeitern dürfen dabei
nicht nur Randnotizen sein.
- zum Weiterlesen: „Der Kreml auf allen Kanälen. Wie der russische Staat das Fernsehen lenkt“ (Reporter ohne Grenzen, Oktober 2013) (pdf)