Russische Mordskerle
Wladimir Sorokins Roman über eine skrupellose Kreml-Leibgarde
BERLIN. Russland im Jahr 2027. Mit einer Großen Mauer hat sich das Reich vom Westen abgeschottet. Handel treibt es nur noch mit China, das im Tausch gegen Bodenschätze moderne Technik und Lebensmittel liefert. Den Europäern wird immer mal wieder das Gas abgedreht, westliche Waren kommen schon lange nicht mehr ins Land. Das Volk hat freiwillig seine Reisepässe verbrannt und dient dem gottgleichen Herrscher des Russländischen Staates, seinem Gossudaren. Der setzt seine Macht mit Hilfe einer skrupellosen Leibgarde durch: den Opritschniki.
Mit „Der Tag des Opritschniks“ hat Wladimir Sorokin, der bedeutendste zeitgenössische Schriftsteller Russlands, zum ersten Mal ein durch und durch politisches Buch geschrieben. Schon vorher hatte Sorokin provoziert: Immer wieder karikierte er den moralischen Verfall der Eliten auf drastische Weise. Seinem Roman „Der Himmelblaue Speck“ brachte das einen Prozess wegen Pornografie ein, die kremltreue Jugend verbrannte öffentlich sein Werk. Doch während sich Leser und Kritiker bisher vor allem an Moral und Ästhetik der Sorokinschen Kunstwelt stießen, liegt ihnen nun eine scharfe politische Anklage vor.
Andrej Komjaga, Hauptperson und Ich-Erzähler des Romans, gehört zum engsten Kreis der Kreml-Leibgarde. Er schildert einen ganz normalen Montag im Leben eines Opritschniks: Nach dem Frühstück einen Adligen erhängen, eine Frau vergewaltigen, ein Haus anzünden. Später Westsender abhören, ein Theaterstück zensieren und zur Entspannung der Auspeitschung eines Intellektuellen zuschauen. Schließlich einen Liebhaber für die Gossudarin besorgen und Zollprobleme an der Erdgastrasse nach China klären. Und nach getaner Arbeit in der Kirche zu seiner Lieblingsikone beten. Nichts Ungewöhnliches also, nichts Aufregendes. Abgesehen vielleicht von dem Saunabesuch um Mitternacht und der anschließenden Sexorgie der Opritschniki miteinander.
Für seinen literarischen Ausblick in die nahe Zukunft hat sich Wladimir Sorokin der Vergangenheit bedient. „Opritschniki“ hießen die Erfüllungsgehilfen Iwans des Schrecklichen, die das russische Volk im 16. Jahrhundert terrorisierten. Wie ihre historischen Vorbilder tragen Sorokins Opritschniki Hundekopf und Besen zum Zeichen ihrer Macht. Stets wachsam, heißt das, werden sie ihr geliebtes Land von Feinden reinigen.
Doch auch mit der russischen Gegenwart weist der Roman mehr als nur zufällige ähnlichkeit auf. Moskau steckt im Dauerstau, seine Reichen vertreiben sich die Zeit mit ausschweifenden Partys. Den Staat regiert ein schmalgesichtiger Herrscher mit rotblondem Haar, dessen Diener viel von der nationalen Idee und dem Russentum reden.
Als eine Art Gegengift möge sein utopischer Roman wirken und das Land vor einer Katastrophe bewahren, hatte Wladimir Sorokin gehofft, als das Buch vor einem Jahr in Russland erschien. Die heftigen Reaktionen, die der Roman hervorrief, haben diese Hoffnung zunichte gemacht. Zwar begrüßten Oppositionelle das Buch über bedingungslosen Gehorsam und Grausamkeit im Namen der Macht, weil es ihre Warnungen vor einem immer autoritärer werdenden Staat zu bestätigen schien. Zum ersten Mal aber klatschten auch Konservative und Nationalisten Sorokin Beifall: Endlich habe er ein vernünftiges Buch geschrieben – ein Buch, das zeige, wie man die Feinde Russlands behandeln müsse.
Wladimir Sorokin: „Der Tag des Opritschniks“. Aus dem Russischen von Andreas Tretner. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008, 221 Seiten, 18,95 Euro
ENDE
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