Theater statt Revolution
Zwei Tote bei Polizeieinsatz in Georgien / Opposition fordert Rücktritt des Präsidenten
TIFLIS. Auf den ersten Blick war es eine Militärparade wie aus dem Bilderbuch: Kampfflugzeuge malten zum georgischen Unabhängigkeitstag am Donnerstag die Farben der Nationalflagge in die Luft, auf der zentralen Straße in Tiflis winkten Soldaten aus vorbeifahrenden Panzern. Doch die Zugänge zu sämtlichen Nebenstraßen wurden von bewaffneten Sondereinheiten der Polizei bewacht. Denn nur wenige Stunden zuvor hatten sich am gleichen Ort ganz andere Szenen ereignet. Mit Gummigeschossen, Wasserwerfern und Tränengas löste die Polizei kurz nach Mitternacht eine Demonstration der Opposition auf, zwei Menschen wurden dabei getötet und über 40 verletzt.
Seit dem vergangenen Wochenende hatte die radikale Opposition in Georgien zur „Revolution“ aufgerufen – mit dem erklärten Ziel, den Präsidenten zu stürzen. Am Sonnabend versammelten sich bis zu zehntausend Menschen im Zentrum von Tiflis. Auf Plakaten, viele von ihnen in englischer Sprache, forderten sie Demokratie und den Rücktritt des Präsidenten. Mehrere Hundert Protestierende kampierten über Nacht vor dem Gebäude des Staatlichen Rundfunks, wo es am Sonntag zu ersten Zusammenstößen mit der Polizei kam. Am Mittwoch blockierten einige Tausend Demonstranten schließlich genau jene Straße, auf der mit einer Militärparade die 20-jährige Unabhängigkeit von der Sowjetunion gefeiert werden sollte. Zusammenstöße mit der Polizei waren vorprogrammiert.
Dabei waren es vor allem ältere Menschen, die tagelang in der georgischen Hauptstadt demonstriert hatten. Sie leiden am stärksten unter Arbeitslosigkeit, niedrigen Löhnen und Renten und steigenden Lebensmittelpreisen. Während in großen Städten Prestigebauten in den Himmel wachsen und selbst in entlegenen Bergregionen Flughäfen eröffnet werden, spüren viele Georgier nichts vom Wirtschaftswachstum des Landes. Die Unzufriedenheit mit Präsident Saakaschwili ist groß, seine Gegner werfen ihm Verschwendung und einen autoritären Regierungsstil vor.
Doch die Opposition bietet keine Alternativen. Sie ist in zahlreiche Gruppierungen zersplittert und schafft es nicht, sich auf eine gemeinsame Strategie zu einigen. Die Anführerin der Proteste, Nino Burdschanadse, genießt kaum Rückhalt in der Bevölkerung. Jahrelang stand sie als Parlamentssprecherin treu an der Seite Saakaschwilis und konnte ihren Gang in die radikale Opposition nicht glaubhaft vermitteln. „Nur, dass sie wütend auf die Regierung ist, heißt noch lange nicht, dass sie ein eigenes Programm hat“, sagt Shorena Shaverdashvili, Chefredakteurin des regierungskritischen Magazins Liberali. Die gemäßigte Opposition um Irakli Alasania wiederum, den ehemaligen UN-Botschafter Georgiens, setzt auf politischen Dialog und distanzierte sich von Anfang an von den Kundgebungen. Verschiedene Führer kleinerer Gruppierungen kündigten zunächst lautstark an, die Proteste am Vorabend des Unabhängigkeitstags zu unterstützen und zogen sich dann kurzfristig wieder zurück.
„Das ist keine Revolution, das ist Theater“, schimpft am frühen Mittwochabend eine Frau, als sie an einer Straßensperre aufgehalten wird. „So etwas führt nur zu Provokationen, das haben wir oft genug erlebt.“ Im Herbst 2007 waren bei tagelangen Straßenschlachten zwischen Regimegegnern und der Polizei 500 Menschen verwundet worden. Seither legen Kundgebungen in jedem Frühjahr das öffentliche Leben in Tiflis lahm. Die Frau, die ihren Namen nicht nennen will, winkt ab und kehrt um. Hinter ihr reißen Männer Holzstreben von der Tribüne, die für den Unabhängigkeitstag vorbereitet ist, und schnitzen Schlagstöcke für den Abend daraus.
ENDE
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