Bio-Äpfel aus dem Kriegsgebiet
Georgische Bauern setzen auf Öko-Landbau statt staatliche geförderte Großprojekte
TIFLIS. Bio-Äpfel und Trockenpflaumen mit Öko-Zertifikat? Marika Kandorelashvili, könnte man meinen, hat dringendere Probleme. Die Felder der georgischen Kleinbäuerin liegen in Sichtweite von Süd-Ossetien, jener winzigen Provinz im Südkaukasus, um die Russland und Georgien im August 2008 mit schweren Waffen kämpften. Der Krieg vernichtete Marikas Ernte und nahm ihr die letzten Käufer für ihre Äpfel. Denn der nur wenige Kilometer entfernte Markt im süd-ossetischen Zchinwali ist seither unerreichbar und die Grenze zum benachbarten Russland schon seit Jahren geschlossen. In Satemo, Marikas Dorf, leben die Menschen von umgerechnet zehn Euro Sozialhilfe im Monat und von dem Wenigen, was sich auf ein paar Hektar Land anbauen lässt. Dennoch zahlt die 43-Jährige Mitgliedsbeitrag im georgischen Bauernverband Elkana und wirbt unter den Nachbarn dafür, Geld für den Antrag auf ein Bio-Zertifikat zusammenzulegen.
Marikas Engagement für ökologischen Landbau erstaunt angesichts der existentiellen Probleme, vor denen georgische Bauern stehen. Mit fruchtbaren Böden und mildem Klima ist Georgien ein traditionelles Agrarland, doch seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion liegt ein Großteil der Felder brach. Nur rund ein Drittel des nutzbaren Ackerlandes wird bebaut, allein im vergangenen Jahr sank der Anteil der bewirtschafteten Fläche um 15 Prozent. Jeder zweite Georgier, der einer Arbeit nachgeht, ist in der Landwirtschaft tätig – und doch trägt der Agrarsektor nur einen minimalen Teil zum Bruttoinlandsprodukt bei, Tendenz sinkend: 2004 waren es 16 Prozent, 2010 nur noch sieben.
Die meisten georgischen Bauern bewirtschaften nicht mehr als den einen Hektar Land, den ihnen die Regierung nach der Auflösung der Kollektivwirtschaften zuteilte – winzige Parzellen, die sich kaum effektiv bestellen lassen. Geld für Dünger und Maschinen fehlt, wenige Banken vergeben Kleinkredite. Was auf den Feldern wächst, reicht gerade für die, die es anbauen. Und so muss Georgien 70 Prozent seiner Lebensmittel importieren, in den Läden liegen türkische Äpfel neben Cornflakes aus Deutschland und Brot aus der Ukraine.
Die Regierung in Tiflis räumt der Reform des Agrarsektors deshalb hohe Priorität ein. Sie hat "Landwirtschaftliche Servicezentren" eingerichtet, etwa 30 im ganzen Land, in denen sich Bauern Traktoren und Maschinen ausleihen können. Sie hat die Mehrwertsteuer auf Agrarprodukte und die Zollgebühren für deren Export gestrichen und bietet ausländischen Unternehmen großflächigen Landkauf zu so günstigen Konditionen an, dass Kritiker von Schleuderpreisen sprechen.
Doch finanzkräftige Investoren bleiben skeptisch. Weniger als ein Prozent der ohnehin geringen Auslandsinvestitionen geht in die Landwirtschaft, Tendenz auch hier sinkend. Im vergangenen Jahr lud Georgien deshalb Buren aus Südafrika zur Umsiedlung in den Kaukasus ein. In ihrer Heimat durch Landreform und -umverteilung bedrängt, gelten die weißen Farmer als mustergültige Bauern und bringen nach Ansicht der georgischen Regierung genau jenes Fachwissen mit, das der georgischen Landwirtschaft fehlt.
Mariam Jorjadze, Vorsitzende des Bauernverbands Elkana, hat dafür nur ein spöttisches Lächeln übrig. "Landwirtschaftliches Wissen ist bei uns vorhanden, schließlich wird in Georgien seit Jahrhunderten Ackerbau betrieben", sagt sie, "aber in 70 Jahren erzwungener Kollektivwirtschaft ist eben viel verloren gegangen". Zu Sowjetzeiten war Georgien ein Land der Monokulturen: Tee, Wein und Zitrusfrüchte wurden großflächig angebaut, wobei es lediglich auf den Ertrag ankam und nicht darauf, wie lange der Boden das aushielt. "Die meisten Bauern wussten nach der Unabhängigkeit nicht, was sie mit ihrem Land machen sollten, viele warteten weiter auf Anweisungen von oben", erzählt Jorjadze. Elkana bot Schulungen an, half beim Entwickeln von Geschäftsplänen, vermittelte Kredite. Vor allem aber setzte sich der Verband, der inzwischen etwa 450 Mitglieder hat, dafür ein, den Anbau traditioneller georgischer Pflanzenarten wiederzubeleben.
Auf den Feldern von Murad Gogoladze in der südgeorgischen Region Akhaltsikhe stehen sie sorgsam beschriftet Reihe für Reihe: Platterbsen und Ackerbohnen, Flachs und Hirse, Nackte Gerste und diverse Weizensorten, die gut im Hochgebirge wachsen, weil sie Frost und Dürre trotzen. Nach dem Zerfall der Sowjetunion hatte das Institut für Botanik Samen und Setzlinge an die Biologen von Elkana übergeben, um seltene Ackerpflanzen vor dem Aussterben zu bewahren. Die gaben sie weiter an Murad Gogoladze – und der staunt manchmal selbst über seinen Wandel vom Chefingenieur der örtlichen Sowchose, des sozialistischen Großbetriebs, zum Vorreiter des ökologischen Landbaus in der Region.
"Es ist schon absurd", sagt der tatkräftige 67-Jährige, "früher haben wir die Bauern gezwungen, Pflanzenschutzmittel und Kunstdünger einzusetzen, um den Ertrag zu steigern, und heute versuche ich, sie von umweltfreundlichen Verfahren zu überzeugen." Gogoladze pflanzt Bohnen als Gründünger, deren Wurzeln den Boden mit wertvollem Stickstoff versorgen. Er düngt mit Torf und Mist und hält auf seinen Feldern die Fruchtfolge ein. Selbst gegen die Mäuse, die regelmäßig den Getreidespeicher erobern, legt er kein Gift aus, sondern vertreibt sie mit einer ausgetüftelten Konstruktion, die den Elektrodrahtzäunen um Kuhweiden gleicht. Im Auftrag von Elkana verkauft Gogoladze Saatgut und Jungpflanzen zu günstigen Preisen an die Bauern in der Umgebung – damit der georgische Ackerbau nicht erneut in der Sackgasse der Monokulturen endet.
Marika Kandorelashvili wohnt am anderen Ende des Landes und würde sich freuen, wenn sie sich um Mäuse Sorgen machen könnte. Die Setzlinge ihrer traditionellen Apfelsorten hat sie nicht im Rahmen eines gut organisierten, von ausländischen Förderern unterstützten Programms erhalten, sondern bei den Nachbarn zusammengesucht: in den ersten wirren Jahren nach der Unabhängigkeit, als die Kämpfe im benachbarten Süd-Ossetien in einen innergeorgischen Bürgerkrieg übergingen und sie nie wusste, die Kampfflieger welcher Seite da gerade über ihr Dorf flogen. Große Teile der ein halbes Jahrhundert alten Obstplantagen, für die diese Gegend berühmt ist, wurden damals zu Brennholz zerhackt.
Marika aber baute auf. Mit Hilfe von Elkana schrieb sie Finanzpläne und beantragte Kredite. Sie erhielt Geld und Baumaterial für einen kleinen Stall; ein Kälbchen liegt nun darin, zwei Ferkel suhlen sich im Dreck. Sie richtete einen Pflaumengarten her, der – "Da war ich selbst überrascht!" – soviel abwarf, dass sie im vergangenen Jahr vier Hektar Land dazukaufen konnte und nun fünf besitzt.
Dass sie beim Obstanbau auf ökologische Methoden setzt, ist für Marika Kandorelashvili pure Notwendigkeit. Sie geht über die Wiesen und zeigt auf einen Pfirsich-Zweig: die Blätter gelblich, mit seltsamen Blasen übersät. "Schlechter Dünger", sagt sie, "besseren kriegen wir hier nicht." Im hohen Gras zwischen den Obstbäumen liegen deshalb jetzt Misthaufen und warten darauf, verteilt zu werden.
Marika träumt von einem Trockenraum für Dörrobst: ein schwarzer Metallcontainer in einem Treibhaus aus Glas, in dem es bis zu 70 Grad heiß wird, wenn die Sonne darauf scheint. Pflaumen trocknen darin innerhalb weniger Tage, ganz ohne Strom. Wenn sie dann noch das Bio-Zertifikat hätten, könnte man sie bis in die Hauptstadt verkaufen. Marika könnte im nächsten Jahr vier Familien aus der Nachbarschaft auf ihrem Gut Arbeit geben. Damit wäre der georgischen Landwirtschaft vielleicht mehr geholfen als mit einem der händeringend gesuchten Großinvestoren.
ENDE
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