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Die Stille nach der Revolution

Georgiens Journalisten üben nur noch selten Kritik an der Regierung

TIFLIS. Weiblich, jung, schlecht bezahlt und hoch motiviert – das ist der durchschnittliche Journalist in Georgien. Tamuna Iluridze zum Beispiel, 25 Jahre alt und Reporterin beim Georgischen Öffentlichen Rundfunk. Sie bekommt 500 Lari (ca. 210 Euro) Gehalt im Monat und wohnt bei ihren Eltern, weil sie sich eine eigene Wohnung davon nicht leisten kann. Oder Tsira Gvasalia, die für 100 Dollar pro Artikel für die regierungskritische Wochenzeitung Liberali schreibt. Sie gehört zu den wenigen investigativen Journalisten im Land. "Durch meine Arbeit finde ich Antworten auf Fragen, die ich mir auch persönlich stelle", sagt Tsira und spricht von der hohen Verantwortung ihren Lesern gegenüber. "Die Leute hier sind sehr interessiert an politischen Berichten", sagt Tamuna und versucht deshalb, besonders gründlich zu recherchieren.

Sie fing an wie ein Märchen, die Geschichte des Journalismus im postsowjetischen Georgien. Ein Riesenreich, in dem die Presse nichts sein sollte als ein "kollektiver Propagandist und Agitator", zerfiel. Die Menschen hungerten nach Information, in kürzester Zeit wurden in Georgien hunderte neuer Zeitungen registriert. Die Medien hatten alle Freiheiten und berichteten kritisch über Machtmissbrauch und Korruption. 2003 setzten sie die Staatsspitze mit Berichten über manipulierte Wahlen so unter Druck, dass sie zurücktreten musste. Der 35-jährige Micheil Saakaschwili erstürmte das Parlament, jung und dynamisch, und hielt fernsehwirksam eine Rose in die Kameras. So bekam die Revolution ihren Namen und das Land einen neuen Präsidenten.

Heute, nach acht Jahren an der Macht, wird Saakaschwili ebenso stark kritisiert wie einst umjubelt – allerdings meist hinter vorgehaltener Hand. Zwar erhielt Georgien nach der Rosenrevolution ein liberales Mediengesetz nach westlichem Standard, Meinungsfreiheit ist auf dem Papier garantiert und Journalisten genießen umfangreiche Informationsrechte. Tatsächlich aber nimmt die Regierung immer mehr Einfluss auf die Berichterstattung, und seit dem Augustkrieg mit Russland 2008 hat sich das noch verstärkt. Zu diesem Ergebnis kommt die International Crisis Group, die weltweit Krisengebiete beobachtet, in einer ihrer Analysen.

40 Fernsehsender, 36 Radiostationen und etwa 90 Zeitungen gibt es in Georgien, einem Land mit nur knapp 4,5 Millionen Einwohnern. Doch vielfältig ist das Angebot nur auf den ersten Blick. 90 Prozent der Bevölkerung informieren sich durch das Fernsehen – und die wichtigsten TV-Sender finanziert der Staat oder sie gehören regierungsnahen Geschäftsleuten. Selbstzensur aus Angst um den Arbeitsplatz sei dort weit verbreitet, berichtet das European Journalism Centre. Sender teilen sich Infrastruktur und Material, sodass sich die Nachrichten auf verschiedenen Kanälen stellenweise verblüffend ähneln. Zudem verbreite die Regierung offensiv PR-Material. "Manchmal werden Politiker von den Mitarbeitern ihrer eigenen Pressestelle interviewt, die ihnen Mikrofone mit den Logos verschiedener Sender vorhalten", gibt Tsira Gvasalia die Erfahrungen eines Kollegen wieder.

Wenn die 28-Jährige recherchiert, fällt es ihr oft nicht leicht, an offizielle Informationen zu gelangen. Als die Polizei Ende Mai eine Demonstration auflöste und danach lange Listen mit den Namen von Vermissten kursierten, telefonierte sie tagelang jedem einzelnen Namen hinterher. Theoretisch sind staatliche Stellen verpflichtet, umgehend auf Anfragen von Journalisten zu antworten. Laut Transparency International tun sie dies aber lediglich in zehn Prozent aller Fälle. "Dabei käme eine gute Zusammenarbeit allen Seiten zugute", wundert sich Tsira, "die Regierung könnte ihre Position erklären, und wir könnten ausgewogene Artikel veröffentlichen."

Zu diesen inhaltlichen Schwierigkeiten kommen bei vielen Medien finanzielle Probleme. Radio-Journalistin Tamuna Iluridze hat nach ihrem Studium neun Monate lang als Praktikantin ohne Gehalt gearbeitet, bevor sie die ersehnte Stelle beim Öffentlichen Rundfunk erhielt. Noch schwerer haben es kritische Medien, die oft auf Unterstützung aus dem Ausland angewiesen sind. Die Wochenzeitung Liberali, für die Tsira arbeitet, erhielt 2010 den mit 10.000 Euro dotierten Förderpreis einer deutschen Stiftung. Heute überlegt die Chefredakteurin, auf eine reine Online-Publikation umzusteigen, um Druckkosten zu sparen – auch wenn sie weiß, dass nur ein verschwindend geringer Teil der Bevölkerung im Internet Nachrichten liest.

"Viele Journalisten resignieren, weil sie glauben, Gesellschaft und Politik mit ihrer Arbeit nicht beeinflussen zu können", fasst Tsira zusammen. Sie spielt auf ihre Kommilitonen an, von denen die meisten heute als gut bezahlte PR-Berater arbeiten. Doch sie selbst lässt sich nicht beirren: "Als Journalist braucht man einen langen Atem. Wenn diejenigen, über die wir berichten, merken, dass sie genau beobachtet werden, dann wird sich etwas bewegen."

ENDE

in: zett, September 2011